Spannende Kirchenvorstandswahlen im Jahre 1929

Die Demokratie in der Kirche war noch ziemlich neu. Aber die Gemeindeglieder nutzten ihre Möglichkeiten in diesen von der Weltwirtschaftskrise geprägten Zeiten:

1929 wurde bei der turnusmäßigen Kirchenvorstandswahl erstmals ein Antrag auf Verhältniswahl gestellt. Vorher war es üblich - wie auch heute - aus einer Liste die gewünschten Kandidaten auszuwählen und anzukreuzen. Verhältniswahl bedeutete, dass mehrere Wahllisten zur Auswahl standen, wobei man nur einer davon komplett seine Stimme geben konnte. Die meisten Unterschriften für diesen Antrag kamen aus den Arbeiterdörfern Altenplos und Grüngraben mit ihrer starken Sozialdemokratie.

Entsprechend sah nun auch die Liste A aus: Viele Parteimitglieder der SPD, ein Holzhauer, ein Maurer, ein Werkstattgehilfe, Steinbrecher und Hilfsarbeiter. Aber mit dabei war auch der Gastwirt und Bürgermeister von Neudrossenfeld Gustav Höhn. Die Liste B wurde vom Pfarramt aufgestellt. Hier finden sich zwei Dorfbürgermeister, zwei Meister, ein Oberlehrer und 13 Landwirte. Die Außendörfer der Gemeinde sind entsprechend berücksichtigt.

Man hat den Eindruck, dass sich die Arbeiterschaft bisher nicht angemessen vertreten fühlte. Der Wahlausgang zeigte, dass die Bevölkerung nicht einfach blind ihren Pfarrern folgte. Von den 448 abgegebenen Stimmzetteln entfielen 134 auf Liste A und 314 auf Liste B. So konnte die SPD-Liste immerhin 30% der Stimmen und drei von zehn Sitzen im Kirchenvorstand gewinnen. Die Zusammenarbeit im Gremium schien dann aber gut zu funktionieren, denn in allen Aufzeichnungen wurde nie Klage über Streitigkeiten geführt.

Im Jahr 1933 wurde dann nach der sog. Machtergreifung von der Ortsgruppenleitung der NSDAP in Neudrossenfeld der Antrag gestellt, die beiden SPD-Leute Lauterbach und Schönauer aus dem Kirchenvorstand zu entfernen. Der Pfarrer leitete den Antrag an den Landeskirchenrat weiter, der ihn ablehnt. Im persönlichen
Gespräch allerdings gibt Oberkirchenrat Prieser dem jungen Pfarrer Ackermann den Rat, die beiden zu einem freiwilligen Rücktritt zu bewegen. Beide willigen ein, wobei sich Kirchenvorsteher Schönauer in dieser Zeit in „Schutzhaft“ befand!

Für den Sommer 1933 wurde durch ein Reichsgesetz die Neuwahl aller Kirchenvorstände angeordnet. Ein massiver Übergriff des NS-Staates in kirchliches Recht! Aber es gibt keinen Widerstand von Seiten der Landeskirche, keinen Protest.

In Neudrossenfeld wird diesmal nur eine Einheitsliste aufgestellt, niemand wagt einen anderen Wahlvorschlag zu machen. Pfarrer Ackermann betont, dass von Seiten der Nationalsozialisten kein Einfluss auf die Wahl genommen wurde, wie das sonst in Deutschland häufig vorgekommen sei. So sind die meisten Kirchenvorsteher - treue Gemeindeglieder - wieder auf der Liste.

Trotzdem wird von einer ausreichenden Zahl von Gemeindegliedern der Antrag auf Verhältniswahl gestellt! Wenn nun allerdings nur ganze Listen gewählt werden können, es aber nur eine Liste gibt, ist die Wahl zur Farce geworden. So wird die Einheitsliste ohne Wahl angenommen, die Wahl fällt aus. Auch so kann man mit demokratischen Einrichtungen umgehen.                             

Claus Bergmann